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"Sie haben mich leicht getreten, aber ich sah Angst in ihren Augen"

Mit einer roten Markierung markiert trifft besonders hart

Maxim lebt seit 16 Jahren in Minsk, obwohl er selbst russischer Staatsbürger ist. Hier zieht er seine 9-jährige Tochter auf und nimmt ihretwegen an allen friedlichen Protesten teil. Das Mädchen soll die Möglichkeit haben, im neuen Belarus aufzuwachsen und zu leben. Der Mann wurde an einem Nachmittag "empfangen", als er geschäftlich allein unterwegs war. Er vermutet, dass das weiße Armband die Sicherheitskräfte verärgert hat. So wurden er und elf andere drei Stunden lang rumgefahren und dann außerhalb der Stadt in der Region Uruchya ausgesetzt.

Maxim Matyrko,Geschäftsinhaber einer Firma für Möbelbau
Alter: 43 Jahre
Die Stadt: Minsk
Wann: 13.08.2020

Bei der Nationalbibliothek festgenommen und in einem polizeilichen Kleinbus geschlagen

Inhaftiert in: 3 Stunden in dem Kleinbus herumgefahren und dann außerhalb der Stadt ausgesetzt
Ärztlicher Befund: Verletztes Knie, Blutergüsse und Schürfwunden am ganzen Körper
Folgen: Humpelt und spritzt immer noch Schmerzmittel ins Knie

Autor: Projektteam August2020

Foto: Projektteam August2020

- Mir ist nichts Außergewöhnliches passiert. Ich war geschäftlich nahe der Nationalbibliothek unterwegs. Ich drehte meinen Kopf und sah einen Kleinbus mit getönten Scheiben. Und ich hatte das schon im Gefühl. Ich dachte: So, jetzt werden sie mich „empfangen“. Und so geschah es.


Männer mit schwarzen Masken stürmten wie Banditen in den 90ern aus dem Auto, holten mich ein, packten mich - und noch eine junge Frau mit ihrem Freund, die zufällig vorbeigingen, und stießen uns alle zusammen in den Kleinbus. Ich habe nicht viel Widerstand geleistet. Wir waren zwölf Gefangene im Bus. Zusätzlich die sechs "Männer in Schwarz" inkl. des Fahrers. Wie ich später verstand, nahmen sie uns wegen der oppositionellen Symbolik (weiß-rot-weiß) fest. Sie rissen sofort das weiße Band von meiner Hand.


Ich schwieg nicht und fragte, was ich ihnen getan habe. Am Anfang ergab sich sogar ein Dialog und sie sagten: "Ja, wir haben euch echt satt, wir haben das alles schon satt." Worauf ich schnell reagierte und antwortete: Fahrt doch lieber nach Hause zu eurer Frau und Kindern, aber nein, stattdessen fahrt ihr hier mit mir rum. Dann bekam ich den ersten Schlag auf mein Knie.


Und dann hielt mich nichts mehr zurück. Ich habe alles gesagt, was ich über sie denke. Dass alles, was sie tun, nicht gesetzmäßig ist und dass ein Tribunal auf sie wartet. Und was denkt ihr? Für all das traten sie mich leicht, doch nur, damit ich meinen Mund halte, aber ich sah Angst in ihren Augen. Sie haben alle Angst vor uns. Sie selbst schlagen zu und schauen sich bestätigend an, während sie verstehen, dass sie eins zu eins mit uns nicht fertig werden würden.

Von allen zwölf Menschen bekam ich am meisten, weil ich ständig quatschte. Die "Männer in schwarz" baten mich, ruhig zu sein, und ich sagte ihnen, dass mir langweilig ist und ich gerne rede. Nein, denken Sie nicht, dass ich furchtlos bin. Viele meiner Freunde liegen immer noch im Krankenhaus, weil sie brutal niedergeprügelt wurden. Wahrscheinlich hat mich die Lebenserfahrung nur gemildert.


Schon als Kind hat mich meine Mutter in ein Waisenhaus gegeben. Ich bin auf der Straße aufgewachsen. Dann habe ich in Tschetschenien gedient, 1995 den Krieg durchgemacht - ich weiß, was der Tod ist. Nur zwei von uns sechzehn Leuten sind aus der Schlacht zurückgekehrt - ich verwundet und ein weiterer Kamerad im Rollstuhl. Ich möchte nicht, dass jetzt, in Friedenszeiten, etwas Ähnliches passiert. Ich selbst bin ein Soldat, ich kenne die Psychologie der Siloviki, es ist nicht so einfach, mich zu erschrecken oder zu brechen.

Während sie mit uns durch die Stadt fuhren, verbrachten sie eine halbe Stunde der ganzen Zeit mit mir. Alle meine Worte wurden mit Fäusten beantwortet. Man erkennt, dass diese Leute darauf trainiert sind, die schmerzhaftesten Punkte zu treffen - Rippen, Knie, Arme, Muskeln. Sie schlugen mir nicht ins Gesicht und versuchten, keine blauen Flecken zu hinterlassen. Ich wurde zweimal so hart ins Knie getreten, dass ich immer noch Schmerzmittel spritze und humpele.


Als ich mitgenommen wurde, war der erste Gedanke, dass ich nicht nach Hause kehre. Ich war innerlich bereit, dass die mich sonst wohin fahren. Und niemand würde wissen, wo ich bin und was mit mir los ist, und dann würde mich im Wald irgendein Pilzsammler finden. Ich hatte auch Angst, dass sie mein Telefon durchchecken: das wäre es, hallo Okrestina. Wir hatten Angst um Kollegen, mit denen wir schrieben und telefonierten, dass die ja nicht geholt werden. Aber komischerweise verlangte niemand mein Handy.



Ich werde meine Position nicht verbergen. Ab dem 9. August habe ich mich aktiv an allen Protesten beteiligt und werde dies auch in Zukunft tun. Ich bin zwar russischer Staatsbürger, lebe aber seit 2004 in Minsk. Ja, mir wurde die belarussische Staatsbürgerschaft angeboten, aber unter der jetzigen Regierung interessiert mich das nicht. Meine Tochter ist Belarusin, sie ist 9 Jahre alt. Und das alles tue ich ihr zuliebe, damit sie in einem ruhigen und schönen Land lebt.


Jetzt wache ich jeden Morgen auf, schaue in den Spiegel und sage: "Wer ist großartig? Maxim ist großartig. Werden wir heute in Okrestina landen? Nein, werden wir nicht." Trotzdem habe ich das Gefühl, dass diese Ereignisse nicht an mir vorbeigehen werden. Man kann doch nicht innerlich mitkochen, aber dann außen vorbleiben. 
 

Insgesamt fuhren uns die Sicherheitskräfte drei Stunden lang in dem Auto herum und warfen uns aus der Stadt in der Region Uruchya raus. Zum Abschluss traten sie mir so stark in den Rücken, dass ich auf die Knie fiel. Ich verabschiedete mich mit den Worten: "Danke, das Bumerang-Gesetz hat noch niemand aufgehoben."


Als das Auto wegfuhr, haben mir einige, die vorher neben mir saßen, Vorwürfe gemacht: Warum hast du gequatscht, sag danke, dass die uns überhaupt rausgelassen haben. Ich war sogar ein wenig beleidigt. Wir hatten alle die gleichen Bänder um, die sichtlich für eine Idee steht - aber wenn es darauf ankommt, laufen sie alle weg. Ich habe einen etwas anderen Charakter.


Ich habe keine Aussage an die Polizei geschrieben. Gegen wen, "Männer in schwarz"? Das ist lächerlich. Ich könnte eine Aussage machen gehen und nicht zurückkehren. Ich bin auch nicht ins Krankenhaus gegangen. Mache mir die Spritzen selbst ins Knie. Mein Knie fühlt sich immer noch steinhart an. Aber das hält mich nicht davon ab, sonntags mit allen auf den Platz zu gehen. Einmal sprach ich sogar in ein freies Mikrofon, erzählte den Leuten, was mir passierte und dankte den Belarusen dafür, dass sie echt eine coole Nation sind. Die ganze Welt schaut jetzt auf Belarusen und ist stolz auf sie. Es gibt kein zurück mehr.
 

P.S.  Ich habe keine Erklärung an den Untersuchungsausschuss oder die Polizei geschrieben.

Wenn Sie während der friedlichen Protesten misshandelt worden sind und bereit sind, Ihre Geschichte uns zu erzählen, schreiben Sie uns auf die Email: avgust2020belarus@gmail.com mit dem Betreff „Geschichte“. Wir werden Sie kontaktieren. Danke!

Maxim Matyrko,Geschäftsinhaber einer Firma für Möbelbau
Alter: 43 Jahre
Die Stadt: Minsk
Wann: 13.08.2020

Bei der Nationalbibliothek festgenommen und in einem polizeilichen Kleinbus geschlagen

Inhaftiert in: 3 Stunden in dem Kleinbus herumgefahren und dann außerhalb der Stadt ausgesetzt
Ärztlicher Befund: Verletztes Knie, Blutergüsse und Schürfwunden am ganzen Körper
Folgen: Humpelt und spritzt immer noch Schmerzmittel ins Knie